Die Zeugen

Es werden sodann die Zeugen vernommen:
1) Stadtrat Miersch, Ffm., Hauptverwaltungsstelle, Lindenstr.27, 60 Jahre alt, kein Pg: Ich hatte an den Gründungsverhandlungen des Musischen Gymnasiums insoweit teilgenommen als es sich um die Liegenschaftsangelegenheit handelte.
Ich habe mit dem Betr. sehr viele Verhandlungen geführt und auch vielen Verhandlungen beigewohnt. Er war kein Exponent der Partei. Er legte eine große persönliche Bescheidenheit immer zu Tage ihm galt nur seine Kunst etwas. Er ist sehr wenig in Erscheinung getreten, politisch überhaupt nicht. Ich hatte nie den Eindruck, daß der Betr. Nationalsozialist sei. Trotzdem hat er bei persönlichen Verhandlungen rückhaltlos offen gesprochen. Er war durch und durch Künstler, sein Aufmerksamkeit galt a) der Musik und b) und der Erziehung.

Ich kenne den Berufungsvorgang des Betroffenen durch Zufall aus bester Quelle.
ORegRat. Miederer erzählte mir von der Berufung des Betroffenen gleich mit der Ernennung durch den Rundfunk. Mit dieser Handlung stellte man den Betr. einfach vor eine Tatsache. Ich sagte damals zu Miederer das kann man doch nicht so einfach mit solchen Künstlern machen. Darauf antwortete er mir; "ich bin gewohnt einfach zu bestimmen. Die Herren haben sich dann zu fügen." Der Betr. hat nach diesem Posten nicht gestrebt. Ich halte es für völlig ausgeschlossen. Er wurde einfach bestimmt, ohne sein besonderes Hinzutun.

Der Vorsitzende verliest Schreiben von Dr. Rudolf Holle, Reutlingen vom 13.6.47 (Anl. 5 d.A.).

Der Betr. führt hierzuaus: Es war tatsächlich so, daß die Jungens Erklärungen hatten, die sie aus dem HJ-Pflichtlager mitgebracht, wonach sie sich freiwillig zur Waffen-SS melden sollten. Ich brachte die Erklärungen dadurch an mich, indem ich den Jungens sagte, ich müßte sie gesammlt weitergeben. In Wirklichkeit ließ ich sie in meinem Schreibtisch ruhen. Auf diese Weise hatte ich alle Jungens von der Waffen-Ss fern gehalten.

2) Kauschke Fritz, Studienrat, Soden-Salmünster, Zehnthofstr 4, 35 Jahre alt, kein Pg, SA,HJ u.NSV seit 1933:
Als ich zum Musischen Gymnasium als Lehrer kam war ich in der HJ- aber nicht in der Partei. Der größte Teil der Lehrerschaft bestand aus Nicht-Pgs. Ich kenne den Betr. bereits seit 1931 aus meiner Studienzeit von Leipzig. Ich habe damals schon im Chor mitgesungen und auch die Reisen alle mitgemacht. Auch als Hitler an die Macht kam ließ der Betroffene sich nicht beeinflussen. Es wurde bekannt, als wir gerade im Unterricht standen, der Betr. äußerte damals " abwarten, wir singen weiter." Seit 1939 bin ich am Musischen Gymnasium. Ich war auch mit in Untermarschtal a.d. Donau. Wir bekamen dort Wohngelegenheit in einer Umsiedlungsstätte. In diesem Haus bekamen wir sogar einen Flügel zur Verfügung gestellt. Durch den Ortsgruppenleiter von Ehinge bekamen wir einen SS-Spitzel in das Haus gesetzt. Da wir den Auslandsender abhörten und oft Worte gegen das Hitlerregim fielen, entstanden uns sogar Ungelegenheiten die meine persönliche Anfeindung mit sich brachte und beinahe zur Verhaftung von Dr. Kunz geführt hätten. Nur dem Verhalten des Betroffenen war es zu verdanken, daß die Sache aufgehalten wurde. Durch Verzögerungen von Verhandlungen einersseits und Vorrücken der Alliierten Truppen zum anderen erledigte sich die unliebsame Angelegenheit.
Es hat sich von uns Lehrern keiner in Uniform gezeigt. Nur der Betroffene hatte eine besondere Beamtenuniform. Die Jungens mußten ja, entsprechend der Verfügung, in Uniform erscheinen. Dies geschah auch nur in den äußerst unumränglichen Fällen.
Politisch hat sich der Betroffene in keiner Weise betätigt.

3) Kunz, Josef, Dr, Hofheim/Ts., 41 Jahre alt, kein Pg:
bestätigt die Ausfünrungeh des Zeugen Kauschke und hebt nochmals hervor, daß es lediglich dem Betr. zu verdanken sei, daß das ehemalige Klostergebäude in Untermarchtal nicht verteidigt wurde und daß er auf diese Weise Menschen und Material vor der Vernichtung bewahrt habe.
4)Uhde Jürgen, Untermarchtal/Donau 54 Jahre alt kein Pg;Konzertpianist: Ich bin Schüler des Betroffenen, den ich 1934 in Berlin kennen lernte.Ich studierte Klavierspiel und nahm zunächst mehr oberflächlicher Art an seinen Kantoreiproben teil. Mit der Kantorei erlebte ich 1935-37 viele In- und Auslandsreisen, die ausgesprochen kirchenmusikalichen Charakter hatten. Da ich Mischling war hatte ich viele Berufsschwierigkeiten, so wurde ich auch zumeist nur von Monat zu Monat engagiert. Ich hatte schon fast keinen Mut mehr zum Kämpfen. Da hörte ich, daß der Betr. seine Berufung an das Musische Gymnasium erhalten hatte. Ich wandte mich an ihn, er wollte mich auch sofort anstellen jedoch machte das Ministerium in Berlin Schwierigkeiten wegen meiner jüdischen Abstammung. Nach langen Bemühungen war es dem Betroffenen aber gelungen mich an das Gymnasium zu verpflichten.
Der Betr. hat sich politisch nicht betätigt und niemals an die Schüler Nazigeist herangetragen. Ich darf hier ganz besonders auf seine letzte Entlassungsrede der Abiturienten von 1945 verweisen. Immer wieder gab er den Schülern zu verstehen, daß wir auf einer Insel lebten an die die Wellen einer anderen Welt heranschlugen, mit der sie wohl auch noch in Berührung und Kampf geraten würden, jedoch sollten sie nie vergessen was sie im Gymnasium gehört und gelernt hätten.
Es ist mir auch bekannt, daß der Betr. sich auch für den Halbjuden Herrn Alfred Mann einsetzte der jetzt Leiter einer Musikschule der Quäker in Philadelphia ist, desgleichen für Fräulein Kestner.

Vorsitzender verliest Schreiben des Alfred Mann.

5)Isselmann, Wilhelm, Ffm., Schadowstr. 14, 39 Jahre alt,kein Pg:
Ich war Lehrer an dem Musischen Gymnasium. Ich kenne den Betr. - über 5 Jahre. Schon bei meiner ersten Begegnung erkannte ich den Künster und Pädagogen in dem Betroffenen. Ich selbst wäre sonst niemals an das Gymnasium gegangen, wenn es eine politische Belastung für mich geworden wäre. Er hat sich immer sehr offen gegen die Maßnahmen der Partei ausgesprochen. Politische Reden hat der Betr. niemals gehalten, überhaupt nur bei Semesterbeginn- und -Schluß zu der Jugend gesprochen. Das übrige was zu sagen war, wurde im Unterricht selbst von den jeweiligen Lehrkräften übernommen. Bestätigen kann ich, daß dem Betr. in seinen Ferienaufenthalt nach Mittenwald eine Mitgliedskarte der NSDAP zugestellt wurde, zum größten Erstaunen des Betroffenen, der zu einer solchen Mitgliedschaft nichts hinzugetan hatte.

6) Prof. Storck, Merkenfritz b. Gedern/Oberh., 49 Jahre alt, Pg seit 1933 lt. Spruchkammerbescheid Gr. 4:
Ich bin der Vater eines Schülers. Meine Firma war in Berlin. Mein Junge war für das Musische Gymnasium vorgesehen, ich brachte ihn selbst zur Aufnahmeprüfung. Ich sagte ihm, daß meine Frau Jüdin sei, der Betr. sagte mir, daß ich mir keine Sorgen zu machen brauche, daß mein Junge in guten Händen sei, es befänden sich noch mehr Schüler in gleicher Lage am Gymnasium. Auch im Verlauf der nächsten Jahre hatte ich nur den besten Eindruck vom Musischen Gymnasium gewonnen. Es wurde kein politischer Unterricht erteilt. Es stand wirklich das Künstlerische und Wissenschaftliche im Vordergrund. Meine Junge wurde hier Konfirmiert, die Konfirmation fand in Niederrad statt.

7)Frau Hedwig Müller, Ffm., Textorstr. 109, 43 Jahre alt:
Ich war Sekretärin in der Kanzlei des Musischen Gymnasiums. Nationalpolitischer Unterricht wurde nicht erteilt, darauf kann ich mich nicht besinnen.
Wenn zu uns Schüler kamen, hat es den Betroffenen niemals interessiert wer der Vater war oder dergleichen, sondern nur die Veranlagung, das Talent des Jungens war von Interesse, das Gleiche galt für die Lehrerschaft.
Die UK-Stellung das Betr. erfolgte bereits vor seiner Parteizugehörigkeit und erfolgte ohne sein Hinzutun wie bei vielen Dirigenten, Sängern und Komponisten sowie Konzertmeistern aufgrund der musikalischen Qualifikation. Mir ist nicht bekannt geworden, daß der Betroffene irgend eit in der Partei inne hatte.

Der Betroffene schließt sich den Ausführungen seines Rechtsbeistandes an.

Nach der Vernehmung eines jeden Zeugen - Sachverständigen - sowie nach der Verlesung eines jeden Schriftstücks - wurde der Betroffene befragt, ob er etwas zu erklären habe