Leserbriefe:
Frankfurter Neue Presse
Handfester Thomas
Seitenweise wird in der jüngsten detaillierten, abwägenden und keineswegs einseitigen Thomas-kritischen Studie von Werner Heldmann "Musisches Gymnasium Frankfurt am Main 1939 - 1945" über Tätigkeit, Rolle und Grenzen der HJ im Musischen Gymnasium berichtet. Der HJ-Dienst war allgegenwärtig. Und selbstverständlich wurde auch paramilitärisch erzogen.
Eins aber ist deutlich: es herrschte durchaus ein handfester Ton in der Schule. In einer Stellungnahme schreibt der Schulleiter Prof. Kurt Thomas unter dem Datum des 16. Mai 1941 an NS Oberbürgermeister Krebs "Auf Anregung von Eltern haben wir in einem Rundschreiben die Einwilligung der Eltern erbeten, in Fällen schwerster ehrloser Handlungsweise eine gesunde Tracht Prügel verabreichen zu dürfen. Diese Genehmigung ist fast ausnahmslos erteilt worden, die Anwendung kommt jedoch äußerst selten vor." Es folgt Kurt Thomas eigenhändige Unterschrift.
Pfarrer Hans Christoph Stoodt
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Daß es sich bei dem Musischen Gymnasium um eine dem Reichserziehungsministerium direkt unterstellte NS-Eliteschule handelte, kann im Ernst niemand bestreiten und folgt zwingend aus den Quellen. Dies hatte selbstverständlich für den Schulbetrieb unterschiedliche, widersprüchliche Folgen, die die einen noch heute zu einer Charakterisierung dieser Schule als "Insel der Seligen" führt, während sich andere daran erinnern, daß andererseits ständiger HJ-Dienst, "Drill von sadistischen Unteroffizieren in Wehrertüchtigungslagern" sowie wenn auch "in äußerst seltenen Fällen" eine "gesunde Tracht Prügel" zu den Formen der Erziehung dieses Hauses gehörte.
Dr. Hans Christoph Stoodt, Frankfurt
Erwiederung:
Die "Prügel im Musischen Gymnasium" hält Herr Dr. Stoodt für so gravierend (und so belastend für Prof. Thomas), daß er diesem Thema gleich 2 Leserbriefe widmet. Dabei hätte er so leicht erkennen können, daß gerade die von Prof. Thomas erstellte Strafordnung gegenüber der üblichen Praxis an öffentlichen Schulen eine rühmliche, ja geradezu vorbildliche, Ausnahme darstellte. (Siehe dazu die Zitate aus Heldmann Seite 314 und Seite 891/92) Übrigens: 2 Lehrer wurden von Thomas wegen Austeilung von Ohrfeigen fristlos entlassen!
"Drill von sadistischen Unteroffizieren in Wehrertüchtigungslagern" und "paramilitärische Erziehung" hatten mit dem Musischen Gymnasium aber gar nichts zu tun und waren völlig undenkbar! Ehe Herr Dr. Stoodt solche Behauptungen in die Welt setzt, sollte er sich erst einmal gründlich (z. B. bei Heldmann) kundig machen!
Heldmann, Seite 314:
Daß der HJ-Dienst nicht "allgegenwärtig", sondern dank Thomas nur 30 % der für alle Jugendlichen in Deutschland vorgeschriebenen Zeit ausmachte, hätte er ebenso im Buch von Heldmann nachlesen können!
Nach der Aufnahme des Schulbetriebes im November 1939 stellen sich alsbald Störungen des Schulbetriebes und Auffälligkeiten im Benehmen von Schülern ein. Ein beliebtes Disziplinarmittel der Zeit bei solchen Vorkommnissen ist die Ohrfeige, ein Strafmittel, das es heute kaum noch gibt. Aus den Unterlagen geht hervor, daß es häufig Ohrfeigen gegeben hat. Thomas spricht von einer "Ohrfeigerei". Das häufige Ohrfeigen hat ihn sehr belastet, und ihn "anfangs nahe daran gebracht, die Flinte ins Korn zu werfen".(D 45) Für ihn ist die Ohrfeige kein angemessenes Erziehungsmittel. In diesem Zusammenhang macht er sein Verständnis vom Sinn der Strafe deutlich. Eine Strafe hat nur dann einen Sinn, wenn der Schüler selbst oder im Gespräch einsieht, daß sein Handeln strafwürdig ist und er zurecht bestraft wird. Er läßt aber andererseits keinen Zweifel aufkommen, daß er die Einhaltung der Internatsordnung erwartet und durchsetzt: "Machtmittel, Euch zu zwingen, habe ich genug. Aber mir liegt nichts am Zwang umso mehr aber an Eurem Verstand und Eurer Einstellung". (D 44) Beim Schüler ist aber dann keine Einsicht in seine Schuld möglich, wenn er sich ungerecht behandelt fühlt und eine Ohrfeige "im Impuls gegeben wird", ohne daß vorher die Schuld erwiesen ist. Eine solche Handlungsweise erregt bei Schülem Widerspruch, und es kann "durch eine Ohrfeige viel Unbefangenheit und Offenheit verloren gehen". Die Einstellung von Thomas zu diesen Fragen wird von ihm durch einen Rückgriff auf seine eigene Schulgeschichte erläutert: "Ich weiss übrigens aus eigener Erfahrung, wie lange eine einzige Ohrfeige, die man in der Schule bekam, brennen kann. Noch heute, nach Jahrzehnten, schäme ich mich für den längst verstorbenen Lehrer, der sie mir gegeben hat. Ich weiss von anderen Menschen das gleiche, und es können auch hier Jungens sein" denen es ebenso gehen wird."(D 45)
Heldmann, Seite 891/92:
D 52 Strafordnung 1940
Ganz allgemein gilt: es soll so wenig wie möglich gestraft werden, insbesondere muß jede doppelte Bestrafung unterbleiben. Ist eine Strafe abgegolten, so ist der Fall damit ein für allemal erledigt. Arbeiten oder Dienste irgend welcher Art werden grundsätzlich nicht zu Strafzwecken verwandt, da sie als Ehrendienste gelten. Körperliche Züchtigung ist grundsätzlich verboten; als Ausnahme gelten nur die unter III. angegebenen Vergehen.
I.
Der Erzieher vom Dienst kann - gegebenenfalls auf Antrag anderer Erzieher - folgende Ordnungsstrafen verhängen:
a) Ungebährliches Benehmen bei Tisch: Weiteressensverbot und Entfernung vom Tisch
b) desgleichen: tageweise Entziehung des Nachtisches
c) stark ungebührliches Benehmen bei Tisch: wochenweise Entziehung des Nachtisches
d) unbegründetes Fernbleiben beim Frühsport: 10 mal ums Haus laufen
e) mehrmaliges unentschuldigtes Fernbleiben beim Frühsport: 10 mal um die Wiese laufen
f) Störung der Mittagsruhe: halbtagige Urlaubssperre
g) verbotenes Ausgehen oder unbegründete Urlaubsübertretung: halbtägige Urlaubssperre
h) in besonders schwerwiegenden Fällen: zusätzl. Bekanntgabe vor der versammelten Mannschaft beim Appell
II.
Der Heimleiter kann im Einvernehmen mit dem Anstaltsleiter folgende Strafen verhängen:
a) unerlaubter Kinobesuch und unerlaubter Besuch von Lokalen: Taschengeld entziehen
b) verbotenes Ausgehen und Urlaubsüberschreitung im Wiederholungsfalle: 1.ganztägige oder 1 1/2-tägige Urlaubssperre bzw. 2.Konzert- oder Theaterverbot bzw. 3. Chor- oder Orchesterverbot bis zum nächsten Konzert
c) schwere Verfehlungen in Dingen der Ordnung und Verstöße gegen die Gemeinschaft: Enthebung von Helferdiensten
d) Sachbeschädigung: Brief nach Hause mit Ersatzanspruch
III.
Folgende Strafen kann nur der Anstaltsteiter verhängen:
a) 1.Schwere absichtliche Sachbeschädigung: Brief an die Eltern mit Androhung der Sperrung von Ermäßigungen
2. Schwere Verfehlungen in Dingen der Ordnung und Verstöße gegen die Gemeinschaft: Brief an die Eltern mit Androhung des Verweises von der Anstalt
b) desgleichen im Wiederholungsfalle: Entziehung von Freistellen oder Ermäßigungen
c) 1. erwiesene feige oder ehrenwürdige Handlungsweise, insbesondere Tierquälerei und Mißhandlung Schwächerer: Körperliche Züchtigung
2.schwere Fälle der Unehrlichkeit, in denen die unter d) angeführte Strafe noch nicht angebracht ist: Körperliche Züchtigung
d) 1.bewußte schwere Sachbeschädigung im Wiederholungsfalle: Entfernung von der Anstalt
2.sittliche Verstöße: Entfernung von der Schule