AN Nr. 4: Thomas Forderung zur Übernahme der Schule

Joachim Charlos Martini:

Es war eine nationalsozialistische "Eliteschule"

Wir lesen bei Werner Heldmann (Vorwort, S. IX):

Die Schulleitung des Musischen Gymnasiums hat unmittelbare dienstliche Kontakte zu den höchsten Dienststellen der Partei (NSDAP), der SS, der Reichsjugendführung und der Wehrmacht.

Aus diesen drei Absätzen ergibt sich eindeutig, dass jedwede der Entscheidungen, die im Rahmen des Musischen Gymnasiums gefällt worden sind, ausnahmslos mit der NSDAP, der SS, der Reichsjugendführung und der Wehrmacht abgesprochen werden sollten und, davon ist auszugehen und vielfach zu belegen, auch abgesprochen worden sind.

Entgegnung:

Der auf der folgenden Seite auszugsweise wiedergegebene Forderungskatalog zur Übernahme des Musischen Gymnasiums spricht eine gegenteilige Sprache: (Thomas wurden diese Bedingungen übrigens erst nach jahrelangen Kämpfen 1943 schriftlich bestätigt.) z.B.:

Nur aufgrund dieser selbstbewußten Forderungen war es Thomas möglich, die Schule weitgehend von politischen Einflüssen fernzuhalten.
(Siehe Ehrenerklärung von 52 ehemaligen Schülern, Aktennotiz Nr. 6 )
Die ihm von der "Anti-Nazi-Koordination" vorgeworfenen Kontakte befassen sich im Wesentlichen mit der Durchsetzung dieser dem NS-Regime widerstrebenden Forderungen. Thomas nutze geschickt die Unwissenheit der Beteiligten und spielte oft den einen gegen den anderen aus. Thomas deshalb einer besondere Nähe zum NS-Regime zu bezichtigen, stellt die Dinge auf den Kopf!

Die Herren Martini und Dr. Stoodt unterschlagen diese Gesichtspunkte, die im Einzelnen im viel zitierten Buch von Heldmann nachzulesen sind.
Auszug aus Heldmann Seite 784/6:

D 42 Schreiben von Thomas an das Reichserziehungsministerium vom 20.4. 1939 [N 51]

Berlin, d. 20.4.1939

An das
Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung
(z Hd. von Herrn Oberregierungsrat Dr. M i e d e r e r)
Berlin W 8
Unter den Linden 69

Im vollen Bewußtsein der Grösse und Bedeutung der Aufgabe, die mir daraus er- wachsen würde, habe ich mich entschlossen, einen Ruf als Leiter des ersten Musikgymnasiums in Frankfurt am Main grundsätzlich anzunehmen. Wenn ich bitten muss, mir, wie schon mündlich angedeutet, vor meiner endgültigen Entscheidung die untenstehenden, z.T. im Augenblick als selbstverständlich erscheinenden Zusicherungen schriftlich in allen Einzelheiten zukommen zu lassen, so geschieht das aus mehreren Erwägungen heraus.

Zum ersten muss eine Schule, der ein so grossartiger Plan zugrunde liegt, über deren Gründung der Wunsch des Führers steht und die in der ganzen Welt zum ersten Mal durchgeführt werden soll, mehr als irgendein anderes Institut gegen äussere Einflüsse und Veränderungen, die sich nicht aus der Schule selbst heraus organisch ergeben, geschützt sein und sich in Ruhe entwickeln können.

Zweitens muss mir, bevor ich meine mich voll befriedigende bisherige Stellung und die von mir gegründete und geleitete Kantorei aufgeben und meine Zukunftspläne grundlegend umgestalten kann, die Möglichkeit ungehinderten kompositorischen Schaffens zugesichert werden, zumal eine erfolgreiche Komponistentätigkeit ihres Leiters auf den Ruf der Schule zurückwirken würde. Aus dem gleichen Grunde muss mir Gelegenheit gegeben werden, auf dem Gebiet, auf dem ich seit elf Jahren arbeite und über das ich ein zweibändiges Lehrbuch veröffentlicht habe, nämlich dem der Erziehung unserer heranwachsenden Chordirigentengeneration, auch weiterhin tätig sein zu können. Und endlich muss mir für den zwar nicht zu erwartenden, aber immerhin denkbaren Fall, dass die volle Durchführung des Musikgymnasiums aus irgendwelchen Gründen nicht gelingt, meine Versetzung an eine meiner bisherigen Tätigkeit vollentsprechende Stellung gesichert sein.

Nach schriftlicher Bestätigung der folgenden Punkte bin ich entschlossen, die mir übertragene Aufgabe anzunehmen. Ich werde sie dann mit aller mir zu Gebote stehenden Kraft zu erfüllen trachten.

I. Betrifft den inneren Aufbau der Schule.

  1. Die ganze Schule (einschl. des Direktors für die wissenschaftliche Abteilung, der Internatsleitung und des gesamten Personals) steht in allen musikalischen und erzieherischen Fragen unter meiner uneingeschränkten Leitung. Sämtliche Lehrkräfte und das gesamte Personal kann jetzt und während der ganzen Dauer meiner Amtstätigkeit nur mit meiner Zustimmung ernannt werden. Ebenso bestimme ich aus dem Lehrkörper heraus die Internatsverwalter, Bibliotheksleiter, die organisatorischen Helfer für den Aufbau der Stundenpläne und ähnlicher Fragen.
  2. Der Lehrplan der Schule kann nur mit meiner Zustimmung abgeändert werden, auch dann, wenn der Lehrplan der übrigen Oberschulen eine Veränderung erfährt.
  3. Die gesamte Leitung der Chor- und Orchesterarbeit untersteht mir persönlich. Hierfür stehen mir drei aus meiner Dirigentenklasse hervorgegangene Assistenten zur Verfügung.
  4. Der Chor tritt erst dann öffentlich auf, wenn ich ihn mit voller Überzeugung als reif erklären kann. Gefordert werden kann dafür kein früherer Termin als Oktober 1942; es ist aber durchaus möglich, dass ich von mir aus diesen Termin vorverlegen kann. Als Männerstimmen dienen ausser geeigneten Lehrern der Schule einige meiner Dirigierschüler, bis aus der Schule heraus genügend Männerstimmen vorhanden sind. Es wird mir zugesichert, dass auch späterhin die Zeitpunkte für musikalische Feiern, Konzerte und Reisen meiner Zustimmung unterliegen und rechtzeitig angesetzt werden. Vom Zeitpunkt des öffentlichen Auftretens an stehen mir und dem Chor jährlich zweimal mindestens vierzehn Tage für Konzertreisen zur Verfügung.
  5. Volle Freiheit in der Programmgestaltung für Feiern, Konzerte und Konzertreisen steht mir und den von mir ernannten Bevollmächtigten zu. Auch die grossen deutschen Musikwerke geistlichen Inhalts müssen auch wenn ihr Inhalt als fremdartig oder veraltet erscheint, als unentbehrliches Kulturgut im Arbeitsplan enthalten sein.
  6. Der Schul- und Internatsplan enthält täglich eine Musikstunde (Notenlesen, allgemeine Musiklehre, Tonsatz, Musikgeschichte u.a.), ferner eine Chor- und Orchesterstunde täglich. Der Stundenplan enthält ausserdem mindestens eine wöchentliche Instrumentaleinzelunterrichtsstunde für jeden Schüler und mindestens täglich eine Stunde Zeit für Instrumentalübung.
  7. Als Lehrer für die Einzelmusikstunden werden hauptamtliche Musiklehrer eingestellt, die neben der erfolgreichen PNT [Privatmusiklehrerprüfung W.H.] eine lebendige Unterrichtserfahrung besitzen. Obwohl sie nicht "Schulmusiker" im engeren Sinne sind, gehören sie dem Lehrkörper fest an. Für die Vollanstalt müssen mindestens sechs solcher hauptamtlicher Lehrer verpflichtet werden. Die übrigen Instrumentalstunden sind von Lehrern der Schule sowie der Hochschule für Musik in Frankfurt zu erteilen. Alle diese Lehrer müssen zu Konferenzen und dergleichen hinzugezogen werden.
  8. Die musikalischen Fächer (auch das Instrumentalspiel und Singen) gelten bei Versetzungen, Prüfungen etc. als vollbewertete Hauptfächer. Die Gesamtheit der musikalischen Fächer hat in der Bewertung das Üergewicht über die Gesamtheit der übrigen Fächer (wissenschaftl. Fächer und Sport).
  9. Bei Prüfungen werden ausser etwaigen staatl. Schulkommissaren die gleiche Anzahl von Musikfachleuten hinzugezogen.
  10. Auf Grund eines sich erst im Laufe der Schulzeit herausstellenden Mangels an musikalischer Begabung kann ein Schüler gezwungen werden, die Schule zu verlassen und Platz zu machen für einen neuaufzunehmenden musikalisch begabten Schüler der gleichen Klassen- und Altersstufe.
  11. Im HJ-Dienst bildet das Internat eine geschlossene Einheit.
  12. Ich bitte, der Schule die auch in der Presse verbreitete Bezeichnung "Musik- Gymnasium" zu geben, da diese Bezeichnung den Kern der Sache genauer trifft als die Bezeichnung "Musisches Gymnasium".