DIE GRÜNEN IM RÖMER
Lutz Sikorski
Franktionsvorsitzender
Thomas wird vorgeworfen, seine Zöglinge zum bewaffneten Kampf für das Dritte Reich ermutigt und die Jugend so "vergiftet" zu haben. Regimekritische Bemerkungen, die Thomas im privaten Umkreis geäußert habe, und die im Spruchkammerverfahren von 1947, demzufolge er als "Mitläufer" einzustufen sei, ausschlaggebend gewesen seien, täuschten nicht über seine grundsätzliche Loyalität und Kooperationsbereitschaft gegenüber den Nationalsizialisten hin.
In Kenntnis dieser bislang ausgeblendeten Tatsachen ist eine öffentliche Ehrung von Kurt Thomas ausgeschlossen.
Entgegnung:
Es zeigt sich, daß die Saat, welche die Herren Martini und Dr. Stoodt gesät haben, aufgeht. Aus dem Antrag der GRÜNEN IM RÖMER, die gewiß die vorhandenen Unterlagen nicht gründlich geprüft haben, ist ein folgenreicher Beschluß der Stadtverordneten geworden, die erst gar keine Gelegenheit zur Prüfung hatten. Im Vertrauen auf die Richtigkeit der Behauptungen der "Anti-Nazi-Koordination" wurde damit über einen für unsere Stadt äußerst verdienstvollen Menschen der Stab gebrochen.
Das wahre Gesicht unserer Schule, die von Thomas geprägte Geisteshaltung im Musischen Gymnasium, kann nicht unbestechlicher dokumentiert werden, als durch das Produnkt unserer täglichen Arbeit. Glücklicherweise besitze ich - fast lückenlos - die Programme unserer wöchentlichen Konzerte in der Zeit vom November 1944 bis April 1945 (Kriegsende).
Wenn der Sprecher der Anti-Nazi-Koordination Joachim Carlos Martini behauptet - Thomas hätte uns zum Ende des Krieges "mit aller Verve die Eroberungs- und Kriegspolitik aufoktroyiert", wäre Thomas wohl nicht auf die Idee gekommen, den Chor des Musischen Gymnasiums singen zu lassen:
am 17. Dezember 1944: "Vom Himmel hoch,...", "In natali Domini...." und "Joseph, lieber Joseph mein", "In dulic jubilo"
am 21. Januar 1945: "Der Geist hilft unsrer Schwachheit auf.... denn wir wissen nicht, was wir beten sollen.."
"Singet dem Herrn ein neues Lied...... Alles was Odem hat lobe den Herrn, Alleluja"
am 11. Februar 1945: "Komm, Jesu, komm ..... ich sehne mich nach Deinem Frieden..."
und "Jesu, meine Freude, ... Laß den Satan wittern, laß den Feind erbittern, mir steht Jesu bei ... Elend, Not, Kreuz, Schmach und Tod soll mich, ob ich viel muß leiden, nicht von Jesu scheiden."
und am 17 März 1945: "Fürchte Dich nicht, ich bin bei Dir ...Laß mich hingelangen, wo Du mich, und ich Dich ewig werd' umfangen. Fürchte Dich nicht!"
und "Meine Seel erhebt den Herrn"
Lob und Preis sei Gott, dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geiste,
wie es war im Anfang, jetzt und immerdar und von Ewigkeit zu Ewigkeit, Amen.
Neben den für NS-Ohren unvorstellbaren verbotenen Texten sind es die Fülle und die Schwierigkeiten dieser Werke, die zeigen, daß wir uns mit dieser Musik (der anspruchvollsten Chorlitteratur der Welt) täglich mehrere Stunden beschäftigen mußten. Für das Orchester galt das Gleiche. Ich bin sicher, niergendwo sonst war es in dieser Zeit möglich, mit so vielen jungen Menschen und in dieser Intensität derartige Musik zu machen. Dies ist allein Prof. Thomas zu danken, der dafür von den Parteistellen heftig angegriffen wurde, und der nur unter ständigem Hinweis auf den "ausdrücklichen Wunsch von höchster Stelle" uns diese Oase bereiten konnte. Es ist absurd und stellt die Dinge auf den Kopf, ihn deshalb der besonderen Nähe zum Nationalsozialismus zu beschuldigen.
Für den musikalisch nicht Versierten ist die Rede von Prof. Thomas am 31. März 1945 (also eine Woche, bevor er mit seiner angebliche "Appell-Rede" seine Schüler zum Wehrwolf getrieben haben soll) vielleicht ein noch deutlicherer Beweis für seine untadelige Haltung als Leiter des Musischen Gymnasiums:
11. Abiturienten-Abschiedsrede am 31.3.1945
Liebe Kameraden der Klasse 8.!
Die Stunde eures Abschieds von der Schulzeit ist gekommen und damit einer der wenigen Einschnitte im Ablauf Eures Lebens. Es ist fast ein Wunder, daß wir den Abschied bis zu dem Zeitpunkt hinauszögern konnten, an dem ihr ordnungsmäßig eure Reifeprüfung ablegtet! Wir wollen daher den ersten Gedanken all den Kameraden schenken, die nicht das Glück hatten, bis zu diesem Tage bei uns zu bleiben. Sie alle haben in diesen Wochen viel an euch gedacht, wie aus manchem Brief hervorgeht. Wir wollen die vorzeitig abgegangenen Kameraden in unsere Gedanken mit ein- schließen, und sie sollen im Geiste bei uns sein.
Als wir uns vor nahezu 6 Jahren zum 1.Mal begegneten und mit eurer Aufnahmeprüfung unser gemeinsamer Weg begann, da hätten wir uns nicht träumen lassen, was wir alles zusammen erleben würden. Damals ahnten wir noch nicht einmal, daß dieser große Krieg ausbrechen würde, und wenn uns jemand prophezeit hätte, was uns diese Menschheitskatastrophe alles bringen würde an Kämpfen und Opfern, wenn man uns auch nur einen Teil der Schwierigkeiten vorausgesagt hätte, unter denen unsere Arbeit sich vollziehen würde, ich glaube, wir hätten die Flinte ins Korn geworfen und das ganze Vorhaben garnicht erst begonnen.
Jetzt, nach Ablauf dieser ganzen Zeit, nachdem wir unser Schiff bis hierher mit vereinten Kräften durch so viele Klippen und Fährnisse hindurchgesteuert haben, wissen wir alle, daß es die glücklichste Zeit unseres Lebens war und wohl auch bleiben wird.
In normalen Zeiten würden wir jetzt rauschende Feste feiern. Ihr würdet dann in die Welt hinausziehen, ihr würdet den Himmel voller Geigen sehen, - aber ihr würdet nicht glücklicher sein als jetzt, wo wir nur in aller Stille Rückschau und Vorausschau halten können und wo die Zukunft dunkel und undurchsichtig vor uns liegt. lhr kennt eure Kraft, Ihr wißt, was ihr gelernt habt, welches Können und Wissen Ihr euch erworben habt. Ihr kennt auch die sittlichen und moralischen Kräfte, die von dieser Gemeinschaft ausgegangen sind. Ihr wißt, daß ihr all den Versuchungen und Gefahren, die das kommende Leben bringen wird, gewachsen seid, wenn ihr euch treu bleibt und die Kräfte in euch bewahrt, die ihr hier erhalten habt.
Wenn ihr jetzt hinauszieht ins Ungewisse, ins "Elend", wie es im Liede heißt und womit die Fremde, das Unbekannte gemeint ist, dann werdet ihr manches von dem erworbenen Gut tief in euch versenken müssen, ihr werdet es schützen und bewahren müssen vor manchem harten Zugriff von außen, - aber eines Tages werdet ihr es dann wieder herausholen und anwenden können.
Schon früher in Frankfurt wurde das Wort geprägt von der "Insel der Glückseligkeit". Heute läßt sich überhaupt kein Ausdruck mehr finden für das, was wir hier trotz aller Schwere der Zeit besitzen, und - wir wollen hoffen und wünschen, daß wir nicht den Neid der Götter heraufbeschwören und allzu hart aus diesem "Traum der Herrlichkeit" aufgerüttelt werden. Aber ich brauche euch, liebe Jungens, nicht zu sagen, was ihr besessen habt und weiter besitzen werdet. Ihr wißt es selbst allzu genau. Jeder von euch ist dem Musischen Gymnasium mit Leib und Seele verpflichtet. Für jeden von euch ist es eine zweite Heimat, für einige von euch ist es die Heimat geworden. Keine von den vorausgegangenen Klassen war so eng verwachsen mit der Schule. Ihr gehört zum Urbestand. Ihr wart von allem Anfang dabei. Ihr habt diese Gemeinschaft mit bauen helfen. Wenn ihr auch nicht immer Musterknaben wart, so konnte man sich doch stets auf euch verlassen, wenn man euch brauchte. Und in den Zeiten der Not war niemand so ergriffen von dem Gedanken an die Rettung des Musischen Gymnasiums wir ihr. Ihr wart gottlob oft fröhlich und ausgelassen. Aber ihr wart ernst und verantwortungsbewußt, sobald es notwendig wurde. Ihr wart nicht immer fleißig. Aber ihr habt das Wesentliche in euch erkannt und aufgenommen. Ihr seid zu einer Gemeinschaft zusanunengewachsen in all den Jahren und vor allem den letzten Monaten, wie man sie wohl lange suchen kann und so leicht nicht finden wird. Eine Gemeinschaft, die auch weiterleben wird, wenn die äußere Trennung Tatsache geworden ist.
Das Musische Gymnasium bleibt eure Heimat, zu der ihr immer wieder einmal zurückkehren werdet. Und wenn fremde Gewalten das Äußere dieser Heimat zerstören sollten, dann bleibt sie doch im Herzen als Erinnerungsbild bestehen, das euch niemand entreißen kann. Wer hätte es einmal für möglich gehalten, daß unser Buchenrode zerstört und 1 Jahr später von Straßenkämpfen umtobt würde. Und dennoch lebt es so fest in unserer Erinnerung, wie es unser zweites Heim hier in Untermarchtal tun wird, selbst wenn wir auch dieses einmal verlassen müssten. Für all die Kameraden der vorausgegangenen Klassen ist die Vorstellung des Musischen Gymnasiums mit Buchenrode verbunden, für euch außerdem mit Untermarchtal. Für alle aber ist es der Geist und die Seele dieser Schule, auf die es ankommt, und die uns kein Feind und keine menschliche Gewalt nehmen kann.
So wie meine alte "Kantorei" ein fester lebendiger Begriff geworden ist, der die Zeiten überdauert, so ist es auch mit der Gemeinschaft des Musischen Gymnasiums für alle, die sich ihr wirklich verschworen haben. Und ihr allesamt gehört unverbrüchlich dazu!
Zwar wird manches Erinnerungsbild allmählich verblassen und von neuen Eindrücken überdeckt werden. Aber dafür werdet ihr aus der Ferne immer mehr das Wesentliche sehen, und das müßt ihr euch bewahren. Wenn wir dann wieder alle einmal beisammen sein werden, dann werden euch alle Einzelheiten wieder in Erinnerung kommen. Dann werdet ihr euch erneut bestätigen, was ihr jetzt schon ganz klar erkannt, das die Zeit am Musischen Gymnasium inmitten des schwersten Schicksalskampfes unseres Volkes die glücklichste eures Lebens war.
Wenn ihr jetzt in fremde Umgebung kommt und mancher Härte, mancher Ungerechtigkeit, vielem Unverstand und vieler Verkommenheit begegnen werdet, dann wappnet euch mit Gleichmut. Werdet hart nach außenhin. Bildet ein Schutzschild um eure Seele, aber diese haltet euch rein! Das beste Mittel, jeder Situation Herr zu werden, ist der Humor. Meine Erfahrung hat mich folgendes gelehrt: Wenn es einem gelingt, seine Umwelt so anzusehen, wie man die Gestalten aus den Meisterwerken von Wilhelm Busch ansieht, vor allem aber auch gelegentlich sich selbst, dann läßt sich auch Unerfreuliches im Leben ganz gut ertragen. Wenn ihr überlegen bleibt, ohne es euch anmerken zu lassen, dann prallt das Unangenehme von euch ab und kann euch nichts anhaben. Und vielleicht wird euch auch der Gedanke helfen, daß wir uns eines Tages alle wiedersehen und unsere Gedanken und Erinnerungen austauschen werden. Dann wollen mir uns einmal gegenseitig helfen, alles Schweren Herr zu werden, das uns noch überkommen wird. Um dies zu erreichen, dlirfen, wir uns nie aus den Augen verlieren.
Ein Lebensabschnitt, die Schulzeit, ist beendet, unwiederbringlich vorbei, mit ihr die wesentlichste und bedeutsamste Zeit des Menschen. Mancher Zwang scheint abgeschüttelt, aber ihr werdet sehen, daß der Zwang im späteren Leben noch viel stärker wird, - umso stärker, je größer die Verantwortung ist, die einer zu tragen hat.
Den Abschluß bildete die Reifeprüfung, in der manche Leistungen zutage getreten sind, auf die wir mit Recht stolz sein können. Es wird vielleicht keine Schule in der ganzen Welt geben, in der eine solche Falle von Erscheinungen zutage tritt wie hier. Jeder von euch hat zu seinem Teil aus dieser Fülle geschöpft und hat damit die Verpflichtung übernommen, soviel wie möglich davon fruchtbar zu machen und zu verwerten zum Wohle anderer Menschen, einerlei ob dies durch eure Kunst geschieht oder durch sonstige Arbeit oder aber auch durch seelische Auswirkung. Jedes Talent, jede Gabe, die ein Mensch besitzt, bringt die Verantwortung mit sich, aus ihr herauszuholen, was nur immer möglich ist, um es der übrigen Menschheit nutzbar zu machen. Darin liegt der eigentliche und einzige Sinn des Lebens. Wenn ihr das tut, und wenn ihr euch treu bleibt und euch nicht verliert im Strome der Zeit, dann wird euer Leben reich, lebenswert und fruchtbar sein. Keine noch so schwere Zeit kam euch dann etwas anhaben.
Und nun will ich euch verabschieden aus der Schulgemeinschaft, indem ich euch euer Reifezeugnis überreiche und dazu eine Mappe, in der einige Erinnerungen an das Musische Gymnasium enthalten sind. Sie werden euch hoffentlich Freude machen. Ein gedrucktes Heft mit unseren Tagessprüchen ist leider nicht rechtzeitig fertig geworden, wird aber in wenigen Tagen nachgeliefert.
So wie ihr einst durch Handschlag in die Gemeinschaft des Musischen Gyrnnasiums aufgenommen wurdet, so werdet ihr heute mit allen Glück- und Segenswünschen äußerlich aus dein Verband der Schule entlassen. Innerlich gehört ihr weiter dazu als fester Bestandteil der Seele dieser Gemeinschaft.
Dazu:
Sicher ist für jüngere Menschen - mit heutigem Wissen um die Verbrechen der Nazis und mit den Ohren der heutigen Zeit - manches, was in den NS-Jahren gedacht und gesagt wurde, befremdlich, vielleicht sogar unverständlich. Desto mehr sollte unseren späten Richtern aber Sorgfalt, Fairneß und Behutsamkeit die Feder führen. Andernfalls ist der Eindruck selbstgerechter Überheblichkeit unvermeidlich.
Stets sollte die Beurteilung eines Menschen weniger nach seinen Worten als nach seinen Taten erfolgen. Gerade in Zeiten der Diktatur ist es für Nichtkonforme oft nicht möglich, beides in Übereinstimmung zu bringen. Schindler oder auch Adorno sind hierfür sprechende Beispiele. Entscheidend sind immer die Taten !