Joachim Carlos Martini:
... Aus den hier zu lesenden Äußerungen ergibt sich für mich eindeutig, dass Herr Kurt Thomas sich seinen Schülern in aller Offenheit gegenüber, also öffentlich, für die Eroberungs- und Kriegspolitik des nationalsozialistischen Systems nicht nur bekannt, sondern mit aller Verve propagiert hat.
Ich zitiere weiter (S. 381):
Bis in die letzten Tage des Musischen Gymnasiums hat Thomas nach außen hin seine Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus in der vorauf aufgezeigten Weise nicht geändert. Am 6.4.1945, zu einem Zeitpunkt, an dem Teile der Schule als Lazarett belegt werden und die Stimmungslage äußerst labil ist, fordert er in einem dringenden Apell die Schüler zu "wahrhaft positiver Haltung" auf.
Kurz vor dem Einmarsch französischer Truppen in Untermarchtal (, - das letzte Quartier des Musischen Gymnasiums" nach der Zerstörung der Frankfurter Liegenschaften, der Verfasser, -) entschließen sich einige Schüler als "Wehrwölfe" zu kämpfen. Die Schüler verlassen ohne seine Genehmigung und gegen seinen Willen (, - eine Diskussion über dieses Thema erwähnt Werner Heldmann allerdings nicht, daher erscheint mir der Satz "gegen seinen Willen" als eine nicht belegte Unterstellung; der Verfasser) nachts heimlich die Schule und sammeln sich auf dem Schloß Mochental bei Ehingen.
Sie kommen nicht mehr zum Fronteinsatz und werden bald darauf von den französischen Truppen gefangen genommen.
Als diese Schüler nach der Kapitulation aus der Gefangenschaft entlassen werden, verweigert Thomas ihre Wiederaufnahme in die Schule. Da die Schüler bereits eine Kampfuniform tragen und bewaffnet gewesen sind, will er gegenüber der französischen Besetzung kein Risiko für die Schule eingehen.
Mit anderen Worten, Herr Kurt Thomas weist alle etwaige Verbindung seiner zuvor im Sinne der nationalsozialistischen Kriegsführung gehaltenen propagandistischen Reden aus den Jahren 1939 bis 1945 mit der Enscheidung der Jugendlichen, für eben diese Ziele zu kämpfen, von sich und setzt die Buben darüber hinaus, bar aller pädagogischen Verantwortung auf die Straße, und das in einer Zeit der allergrößten inneren wie äußeren Not!
Ich erspare mir, weitere Zitate anzuführen!
Entgegnung:
Diese Beschreibungen und deren Schlußfolgerungen sind so falsch und so böswillig, daß es hierzu umfangreicherer Erklärungen bedarf.
Anlaß für die Freiwilligmeldung einiger Schüler am Ende des Krieges zum "Werwolf" waren nicht, wie Martini vermutet, angebliche Propaganda-Reden von Thomas. Diese hatten einen anderen Grund:
Wir alle waren sehr bedrückt über die Tatsache, daß eine übergroße Zahl unserer bereits eingezogenen Schulkameraden gleich nach den ersten Fronteinsätzen gefallen war. Und wir, die wir durch Thomas´ Intervention vom Kriegseinsatz befreit waren und "in der Heimat" ein behütetes Leben genossen, hatten ein sehr schlechtes Gewissen.
Viele von uns empfanden deshalb das Verbleiben in der Schule persönlich als ehrlos. Mit Kriegsbegeisterung oder gar Liebe zum Nationalsozialismus hatte das nun gar nichts zu tun; und an unserem jungen Leben hingen wir natürlich auch.
In dieser Situation hörten wir zufällig ein Gespräch zwischen unseren Lehrern, die insgeheim überlegten, was bei näher rückender Front zu tun sei. Der pragmatische Vorschlag, dann Fliegeralarm auszulösen und das Ende des Krieges im Luftschutzkeller abzuwarten, empörte uns derart, daß einige den Entschluß faßten, das Kriegsende als Soldat durchzustehen. Wissend, daß Thomas versuchen würde, diesen Entschluß mit allen Mitteln zu verhindern, haben sie dann heimlich bei Morgengrauen die Schule verlassen.
Wenn Martini rügt, daß Thomas aus schändlichen persönlichen Gründen diese Schüler nach ihrer Rückkehr nicht wieder aufgenommen hat, verbeißt er sich in geradezu bösartige Unterstellungen.
Thomas, der zwischenzeitlich mit allen Lehrern im Gefangenenlager gewesen war, durfte nur unter der strikten Bedingung zu seinen Schülern zurückkehren, daß er ehemaligen Soldaten in der Schule keinen Schutz gewährt. Eine Zuwiderhandlung hätte die sofortige Auflösung der ganzen Schule, und damit die Aussetzung von ca. 180 Schülern im Alter von 9 bis 16 Jahren, zur Folge gehabt. In dieser Verantwortung war es ihm also völlig unmöglich, seine "Werwolf-Schüler" wieder in den Schutz der Schule zu nehmen.
Er hat sich aber rührend persönlich um sie gekümmert, mit ihnen den jeweiligen Heimweg besprochen, sie soweit wie möglich mit Schuhwerk, Kleidung und Verpflegung versehen und mit Ausweispapieren, guten Wünschen, aber großer Sorge auf die Reise geschickt. Sie sind übrigens ohne Ausnahme heil zu Hause angekommen.
Pfarrer Dr. Hans Christoph Stoodt:
Pfarramt für Stadtkirchenarbeit an St. Katharinen
Anti-Nazi-Koordination Frankfurt am Main
In einer Appell-Rede am 6. April 1945: Thomas fordert die Schüler zu "einer wahrhaft positiven Haltung" auf. Daraufhin melden sich drei seiner Schüler (ohne sein Wissen) zu einer Werwolf-Organisation.
(Alle Belege: Heldmann, S. 380 f)
Entgegnung:
Wieder übernimmt Dr. Stoodt Martinis Auszüge aus Heldmanns Buch ungeprüft. Um größtmögliche Wirkung zu erzielen, wird aus Thomas mahnenden Worten zur Schulordnung gleich eine Appell-Rede mit politischem Hintersinn. Dabei ist es ihm offensichtlich einerlei, daß Thomas' Äußerungen am 6. April 1945, die Meldungen zum Werwolf aber schon Ende März 1945 erfolgten.
Zum selben Thema gibt es einen weiteren Bericht, der Thomas' Haltung in dieser Zeit beleuchtet, den die Herren Martini und Dr. Stoodt unerwähnt lassen:
(Alles bei Heldmann nachzulesen)
D 88 Bericht über das Fernhalten von Schülern vom Kriegseinsatz durch Thomas im April 1945 [U 4]
[Bericht ist rückblickend von dem ehemaligen Schüler Christoph Klaffke nach seinen Unterlagen geschrieben und am 31.8.2001 dem Verfasser überreicht worden.W.H.]
Im 1. Halbjahr 1945 hat Thomas mich und andere Klassenkameraden vor gefährlichen und falschen Wegen bewahrt.
Als Jan/Feb. 1945 ein SS-Werbeoffizier dafür warb, sich freiwillig zu SS zu melden, habe ich mit anderen Klassenkameraden einen Antrag auf Umschreibung von der Wehrmacht zur SS gestellt. Einige Zeit darauf bekamen 8 Schüler meiner Klasse einen Einberufungsbefehl zum SS-Führerlehrgang nach Sonthofen. Voller Stolz ging ich beim Abendessen damit zu Thomas. Er sah sich das Papier an und fragte, wer das noch bekommen hatte. Wir mußten ihm alle Einberufungsbefehle abgeben und haben nie wieder etwas über den Fortgang dieser Sache gehört.
Wenig später ging in unserer Klasse die Parole um: Wir gehen zum "Werwolf". Wir wollten es aber nicht wie die Gruppe aus der Klasse 7.O. machen, die heimlich abgehauen waren. Wir wollten uns offiziell bei Thomas abmelden. In einem Gespräch mit meinem Vater (Meine Eltern waren inzwischen aus Oberschlesien in Untermarchtal gelandet) unten im Dorf zwischen Kloster und Donaubrücke teilte ich ihm den Entschluß mit, zum Werwolf zu gehen. Es gab eine Diskussion, in der mich mein Vater von der Unsinnigkeit dieses Unterfangens überzeugen wollte. Die Diskussion endete nach heftigem Wortwechsel damit, daß ich eine schallende Ohrfeige bekam. Darauf ließ ich meinen Vater stehen, ging hinauf zu "Maria Hilf" und erklärte meinen Klassenkameraden, daß mein Entschluß feststeht und ich morgen zu Thomas gehe. Am nächsten Morgen standen ca. 10-12 Jungen vor Thomas im Dienstzimmer, um sich bei ihm von der Schule zum Werwolf abzumelden. Thomas sah uns der Reihe nach an und blieb dann mit seinen Blicken bei mir hängen: "Hast du mit deinem Vater gesprochen?" Als ich mit meiner Antwort herumdruckste, schickte er uns zurück ins Klassenzimmer mit den Worten: "Ich will erst mit deinem Vater sprechen." In dem Gespräch mit meinem Vater bat er ihn dringend, wie mir mein Vater später erzählte, alle Überredungskunst dranzusetzen, um mich in friedlich freundschaftlicher Atmosphäre von meinem Vorhaben abzubringen und zurückzuhalten. Er selbst könne das nicht. Aber mein Vater könnte das. - Auf einem langen Spaziergang durch den Klostergarten - Ich war aus dem Unterricht herausgerufen worden - gelang es meinem Vater, daß ich ihm in die Hand versprach, von unserm Vorhaben Abstand zu nehmen. Als ich dies meinen Klassenkameraden mitteilte, blieben sie alle in der Schule, vom Werwolf war keine Rede mehr.
In den letzten Wochen vor dein Einmarsch der Franzosen mußten wir als Volkssturmsoldaten, mit Karabinern bewaffnet, Brückenwache halten oder beim Kalkwerk oberhalb Untertmarchtal mit Panzerfäusten auf feindliche Panzer warten. Unser Befehl auf der Brücke lautete: Alle Fahrzeuge, die die Brücke passieren, sind zum Zwecke der Ausweiskontrolle anzuhalten. Wir erhielten Schießbefehl für alle Fahrzeuge, die sich unserer Kontrolle widersetzten und nicht anhielten. Am Abend vor der Sprengung der Brücke, nachts 2 Uhr, erschien Thomas in unserer Stube und erklärte: "Heute geht keiner zur Brückenwache!" - Als ich später den Film "Die Brücke" im Unterricht zeigte, mußte ich immer sagen: "Dazu wären wir auch fähig gewesen, wenn nicht einer uns zurückgehalten hätte." Das war für mich Kurt Thomas.
aus Heldmann Seite 1003 - 1004