Betr.: Prof. Kurt T h o m a s - F/ 26o 884 -
B e g r ü n d u n g :
Der Betroffene war Mitglied der NSDAP seit 1940, Angehörger der Hitlerjugend in den Jahren 1933 und 1934 als Junzugführer (Unteroffizier) November 1944 bis 1945 mit dem Range eines Stammführers. Er war ferner Mitglied der Reichsmusikkammer, der NSV und des Altherrenbundes. Die Kammer hatte sich zunächst mit der Frage zu beschäftigen, in-wie-weit der Betroffene unter Teil A des Anhanges zum Gesetz, Abteilung E II, fällt. Da er weder 1933 noch 1944 einen bestätitgten hauptamtlichen Rang inne hatte, so entfällt so entfällt der erste Absatz dieser Bestimmung. Dagegen mußte die Kammer es offen lassen, ob der zweite Absatz " alle Führer der HJ auf dem Gebiete der Erziehung " auf den Betroffenen zutrift. Der Verteiduger stellte sich auf den Standpunkt, das hiermit nur solche HJ-Führer gemeint sind, die in dem"Amt für Erziehung"
dieser Organisation tätig waren. Dies trifft zwar für den Betroffenen nicht zu, er ist aber immerhin in einer Stellung als Jugengenderzieher HJ- Führer gewesen und die Kammer hat daher ihm aufgegeben, diese formelle Belastung zu widerlegen. Dieses ist dem Betroffenen in vollem Maße gelungen.
Aus der Schilderung des Sachverständigen Dr. Keller, der das Schuldezernat der Stadt Frankfurt zur damaligen Zeit inne hatte sowie der Zeugen Dr. Kunz, Kauschke, Isselmann und Uhde geht hervor, daß das Musische Gymnasium der Stadt Frankfurt alles andere war als eine nationalpolitische Erziehungsanstalt. Der Betroffene selbst ist ein reiner Künstler, der seine Aufgabe darin gesehen hat, die ihm anvertraute Jugend in musilkalischem Sinne zu erziehen und der weder nach der Herkunft, noch nach der Abstammung oder der politischen Einstellung der Eltern jemals gefragt hat. Allein maßgebend für ihn war, ob die Jungen die Gewähr dafür boten, gute Musiker zu werden. Die Aufführung von nationalsozialistischen Kantaten und anderen Musikstücken in der Schule und durch seine Schüler hat der Betroffene strikt abgelehnt und sie ganz im Geiste der klassischen Musik erzogen, wobei die Kirchenmusik eine besonders große Rolle spielte. Der Betroffene hat alljährlich mit dem Frankfurter Cäcilienverein die großen Oratorinwerke Bachs aufgeführt, er hat wie von sämtlichen Zeugen bestätigt wird, niemals nationalpolitischen Unterricht erteilen lassen und auch selbst niemals eine politische Rede gehalten.
Sein Eintritt in die HJ im Jahre 1933 erfolgte auf Bitten eines Schülerkreises hin, die glaubten, unter seiner Führung die Pflege guter Musik in der HJ durchsetzen zu können. Nach kurzer Zeit mußte der Betroffene erkennen, daß dies eine Illusion war und trat aus der HJ wieder aus. Sein Eintritt In die NSDAP im Jahre 1940 erfolgte nach-dem er die Stellung des Leiters des Musischen Gymmasiums bereits übernommen hatte. Es wurde ihm erklärt, daß er seine musikalischen Erziehungsaufgaben nur dann weiterführen dürfe, wenn er endlich auch der Partei beiträte. Die Anmeldung und die Zusendung der Mitgliedskarte ist dann ganz automatisch durch seine vorgesetzte Behörde erfolgt. Die wenige Monate vor dem Zusammenbruch noch erfolgte Ernennung zum Stammführer der HJ war lediglich eine formelle Maßnahme, um ihm auch äußerlich den Schülern, die alle Mitglieder der HJ waren, gegenüber das notwendige Ansehen zu geben. Irgendeine Funktion war mit diesem Amt nicht verbunden und der Betroffene hat auch eine solche nie ausgeübt.
Dem Betroffenen wird von den vernommenen Zeugen bestätigt, daß er niemals aktivist im Sinne des Nationalsozialismus tätig gewesen ist, sich vielmehr des öfteren abfälig über diesen und seine Maßnahmen geäußert hat. Der Betroffene hat auch eine Anzahl von Handlungen begangen, die man als Widerstand gegen den Nationalsozialismus auffassen kann. So hat er zum Beispiel die in einem HJ-Lager von mehreren seiner Schüler erpresste freiwillige Anmeldung zur Waffen-SS an sich genommen, in seinem Schreibtisch verschlossen und nicht weitergegeben. Einen politisch gefährdeten Mitarbeiter hat er in den letzten Wochen gegen den Zugriff der Gestapo geschützt und seine Vernehmung so in die Länge gezogen, daß der Einmarsch der alliierten Truppen die Angelegenheit gegenstandelos machte. Die befohlene Verteidigun der Schule in der letzten Phase des Krieges hat er dadurch verhindert, daß er in aller Eile ein Teil der Schule als Lazarett einrichtete.
Die Beweisaufnahme hat ergeben, daß die in der Klageschrift erwähnten Vorwürfe, der Betroffene habe die Schule ganz von nationalsozialistischen Gesichtspunkten aus geleitet, die Jugend durch seine nationalsozialistischen Lehren an Geist und Seele vergiftet und sich als Aushängeschild für die Nazikunst mißbrauchen lassen, in keiner Weise zu halten sind, daß insbesondere auch die Idee zur eines Musischen Gymnasiums nicht von nationalsozialistischen stellen oder auf eine Anregung Hitlers zuruckgeht, sondern breits im Jahre 1928 von dem jüdischen Musikreferenden des Kultusministeriums Leo Kestenberg in einer Denkschrift niedergelet wurde.
Wenn auch die Kammer dem Betroffenen die Bestimmungen des Artikel 12 des Gesetzes in vollem Maße zubilligt, da er tatsächlich nur nominell am Nationalsozialismus teilgenommen hat, so konnte sie doch nicht so weit gehen, die im vorhergegangenen angeführten Widerstandshandlungen als eine genügende Basis für die Anwendung des Artikel 13 zu betrachten. Tatsächliche Schäden hat der Betroffee von diesen Handlungen nicht gehabt und es ist auch die Frage, ob sie erfolgt sind, um den Nationalsozialismus zu schädigen oder ob nicht vielmehr das Wohl der ihm anvertrauten Schüler und Lehrer die eigentliche Triebfeder waren. Immerhin hat die Kammer bei Einreihung des Betroffenen in die Gruppe der Mitläufer durch die mindeste gesetzlich zulässige Sühne von 5o.- anerkannt, daß sein Fall auf der Grenze zwischen der der Mitläufer und der Entlasteten liegt.
gez.
Dr. Rath