AN Nr. 15: Das Oratorium "Saat und Ernte"

.......Und wenn heute davon gesprochen wird, wie hoch das Niveau der Thomas'schen Tätigkeit als Musiker, Komponist war - schließt dies auch Werke wie die von ihm komponierte Olympia-Kantate von 1936 ein - mit einer Silbermedaille preigekrönt vom NS-Staat und uraufgeführt im Sommer 1938 zu Berlin unter der Beteiligung zB. des Chores der NS-Frauenschaft? Oder die Kantate "Saat und Ernte", uraufgeführt zur Eröffnung des Musischen Gymnasiums Frankfurt am Main - mehr oder weniger zeitgleich zum Kriegsbeginn, mit einer ganz anderen furchtbaren Ernte, die aus der Saat des deutschen Faschismus, einschließlich seiner wegschauenden, sich in ihm eingerichtet habenden usw. Profiteure ergab?

Auch hier wieder: wie positioniert sich diese Kunst vor dem Spektrum dessen, was es damals in der gesamten Breite gab, einschließlich der "entarteten Kunst" in der Musik?...

Freundliche Grüße,
Hans Christoph Stoodt

Dazu:

Ich möchte es dem Leser überlassen, sich über die Sätze von Dr. Stoodt ein Urteil zu bilden. Er versteigt sich in Gefilde, von denen er offensichtlich nun gar nichts versteht und von denen er tunlichst die Finger lassen sollte.

Das Oratorium besteht aus 17 Einzelstücken mit den Überschriften:

Gabe - März - Die Pflüger - Der Sämann - Alter Bauer am Abend - Vorsommer - Bauerngebet - Hochsommer - Sommergewitter - Gruß an das Korn - Letzte Reife - Die Mahd - Erntezeit - Bauernsegen - Erntetanz - Herbst - Ewige Saat

Ich bin fast sicher, daß Herr Dr. Stoodt auch noch an diesen Titeln braune Farbe entdeckt. Das infame Wortspiel mit der Saat und der Ernte konnte er sich natürlich nicht entgehen lassen. Zur Einweihung des Musischen Gymnasiums wurde dieses Werk im Saalbau aufgeführt. Die Uraufführung war aber zu ganz anderer Zeit und an ganz anderer Stelle.

Ob Herr Dr. Stoodt sich einmal die Partitur besorgt hat? Dort ist das Niveau dieser Komposition recht gut zu beurteilen. (Edition Breitkopf und Härtel Nr. 5711)

Im Buch von Bethke heißt es über dieses Werk:

Die bei diesem eben beschriebenen Werk gesammelten Erfahrungen kamen Thomas zugute bei seinem sehr bekannt gewordenen folgenden opus magnum weltlicher Chormusik, dem Oratorium SAAT UND ERNTE op. 36 für drei Vokalsolisten, gemischten Chor und Orchester nach Worten verschiedener deutschsprachiger Dichter. Um den Aufbau und die musikalische Konzeption des Oratoriums zu verstehen, soll zunächst auf den Text eingegangen werden. .....

Thomas stellte den Text aus den verschiedenen Dichtungen zusammen, ohne die Einheitlichkeit des Grundgedankens zu gefährden: das Ergebnis ist ein Oratorientext von großer Geschlossenheit, der den Hörer unmittelbar anspricht. Der Segen der Erde, das Brot, welches in mühevoller Arbeit des Menschen immer aufs neue errungen sein will, Saat und Ernte - auch auf das Geistige übertragen - erfahren jetzt eine künstlerische Deutung. Nicht ohne Belang mag es sein, daß sich auf sporadisch überlieferten Manuskriptentwürfen in Thomas' Handschrift, quasi als Motto, der Bibelvers aus 1. Mose 8 findet: "Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Tag und Nacht", wobei die Worte "Saat und Ernte" unterstrichen sind. Drei Großtelle: Saat - Reife - Ernte, sowie ein Vorspruch (Gabe) und der Schlußchor (Ewige Saat) bilden den äußeren Rahmen für die im Werk verarbeiteten Gedanken. In den siebzehn Einzelstücken des Oratoriums (1), dessen Aufführungsdauer etwa anderthalb Stunden beträgt, tritt der meist homophon singende Chor vierzehnmal in Erscheinung. In den übrigen Sätzen werden die Solisten mit musikalisch bedeutsamen Aufgaben betraut. Das reich mit Bläsern ausgestattete große Orchester bildet das Fundament, das in Einleitungen, Übergängen und Abschlüssen, sowie in musikalischen Naturschilderungen dem Stimmungsgehalt der einzelnen Bilder Ausdruck verleiht. Die anspruchsvolle Melodieführung der solistischen Partien stellt an die Interpreten (Sopran, Tenor, Baß) hohe Anforderungen stimmlicher und rhythmischer Art. Der Chorsatz ist bestimmt durch wortausdeutende Schlichtheit. Gelegentliche imitatorische Arbeit lockert das strenge Bild oft verwendeter Homophonie auf. Mit Hilfe einer stets wechselnden Rhythmik und Dynamik und einer natürlichen Textdeklamation werden hier nachhaltige Wirkungen erzielt (z. B. bei den Worten der großangelegten Schlußsteigerung des Anfangschores: "... in deinen Händen liegt Brot"). Minutiös zeichnet der Komponist kleine Einzelheiten nach, die der Text anbietet. So wird so zum Beispiel die ungewisse Stimmung, die über der noch schlafenden Natur im März liegt, durch die terzenlosen Akkorde widergespiegelt, die in übermäßigen Quartabstiegen herabtropfen. Dasselbe Motiv wird spiegelbildlich im "Herbst" wieder aufgenommen. Erwähnenswert ist auch die musikalische Gestaltung des Erwachens der Erde, des herannahenden Frühlings. Überzeugend stellt sich die Nachzeichnung des schwerfälligen Rhythmus' der Pflüger, des Schreitens des "Sämanns, der übers Land geht", dar. Einleuchtend gestaltet sich der Abendfriede, der den "Alten Bauern" umgibt, während er am Feierabend vor seiner Tür sitzt, oder die "Mahd", in der Vorsänger und Chor den Rhythmus der Arbeit schildern. Einen besonderen Höhepunkt stellt der "Erntetanz" dar. Endlich schließt sich im "Herbst" der Ring: das Korn harrt im Speicher neuer Aussaat.

Dorothe Thomas schreibt über die Problematik dieses Oratoriums: "Ich finde es erstaunlich, daß die Nazis an 'Saat und Ernte' keinen Anstoß genommen haben wegen der vielen religiösen und geistlichen Stellen, während sich die Kirche wegen eines einzigen Satzes entrüstete" (2). Innerhalb der Werke Thomas' stellt dieses Oratorium insofern einen Höhepunkt und gewissen Endpunkt dar, als es in der Behandlung der orchestralen Möglichkeiten und der Verbindung von Vokal- und Instrumentalstimmen eine in dieser farbigen Vielfalt sich nicht wiederholende Meisterschaft beweist.

aus Bethke, Seite 193