Vorwurf:
Dr. Stoodt: ... "Und wer das erhaltenen Tondokument der Eröffnung des Musischen Gymnasiums 1939 hört - kürzlich wurde es im Rundfunk gesendet, und die Stimme Kurt Thomas´ auf sich wirken läßt, mit der er anläßlich dieses Ereignisses gelobt, die ihm anvertrauten Schüler "im nationalsozialistischem Sinne zu wahren deutschen Männern zu erziehen", der kann rein gar nicht von irgend einer Reserve, irgend einem Zweifel wahrnehmen - wohl aber vom Charisma und der Ausstrahlung dieses Mannes, welche er jahrelang jungen Menschen gegenüber in einem solchen Ausmaß einsetzte, daß es in den Debatten um die Möglichkeit und Unmöglichkeit seiner öffentlichen Ehrung heute spürbar ist".
D 11 Rede von Prof. Kurt Thomas bei der Eröffnungsfeier am 12.7.1939
[Städtisches Anzeigeblatt Frankfurt a.M. Nichtamtlicher Teil Nr.28 (1939) S.332]
Hochverehrter Herr Reichsminister!
Verehrte Ehrengäste!
Von ganzem Herzen danke ich Ihnen für das große Vertrauen, das Sie, Herr Reichsminister, mir geschenkt haben, indem Sie mich zum Leiter des Musischen Gymnasiums in Frankfurt berufen haben. Ich bin mir der Größe der mir gestellten Aufgabe voll bewußt, und ich versichere Ihnen, daß ich alle mir verfügbaren Kräfte einsetzen werde, um aus dieser Schule das zu machen, was von ihr erwartet wird.
Es ist eine wunderbare Aufgabe, musikbegabte Jungen aus allen Gauen unseres Großdeutschen Reiches musikalisch und menschlich so zu erziehen, daß sie dereinst als Träger deutscher Musikkultur und als echte deutsche Männer wirken können, sei es als führende Persönlichkeiten des Musiklebens, sei es als begeisterte Förderer unserer Hausmusik. Schon die Aufnahmeprüfung, die wir in Berlin, Dresden, Breslau, Wien und in Frankfurt abgehalten haben, zeigt uns, welche ungeheuren musikalischen Kräfte in unserer Jugend vorhanden sind. Wir haben Jungen im Alter von 10 bis 13 Jahren geprüft, die auf ihren Instrumenten schon so weit fortgeschritten waren, daß sie manchen Achtzehnjährigen übertreffen, der sich zur Musikhochschule meldet. Wir fanden in den gleichen Altersstufen Kinder, die weit über den Rahmen des Durchschnittlichen hinausgehen und die größten Zukunftshoffnungen erwecken. Vor allem konnten wir die Feststellung machen, daß das allgemeine musikalische Niveau der von uns geprüften Jungen weit höher war, als man erhoffen und erwarten konnte. Das Nachsingen schwieriger Tonsätze, das Nachklopfen komplizierter Rhythmen und das freie Improvisieren zu einem bekannten Volkslied wurde von diesen Jungen mit Sicherheit gelöst. Wenn schon durch diesen Umstand die Gründung des Musischen Gymnasiums als eine der wichtigsten Aufgaben der Musikerziehung erwiesen ist, so noch durch folgende Tatsache: So erfreulich das allgemeine musikalische Niveau ist, das wir vorfanden, umso weniger erfreulich war der stimmliche Zustand der von uns geprüften Jungen. In reichlich vielen Fällen fanden wir belegte, heisere, überschrieene und vernachlässigte Stimmen vor, und es wird harte Arbeit kosten, diese Schäden zu beseitigen.
Wenn nun am 5. September der Unterricht in unserer Schule beginnt, wird es auch meine und meiner Mitarbeiter schwere und schöne Aufgabe sein, die uns anvertrauten Jungen im nationalsozialistischen Sinne zu echten deutschen Männern zu erziehen und ihre Musikbegabung zur vollen Entfaltung zu bringen. In diesem Sinne spreche ich Ihnen, hochverehrter Herr Reichsminister, nochmals meinen Dank aus und wiederhole mein Gelöbnis, alle mir verfügbaren Kräfte für diese Aufgabe einzusetzen.
Aus Heldmann Seite 703
Dazu:
Aus diesen Worten, die der damals 35-jährige Thomas als Antwort auf die NS-Rede des Reichsministers Rust gewählt hatte, ist nach meiner Meinung eine - gegenüber Herrn Dr. Stoodt völlig entgegengesetzte - Folgerung zu ziehen: Mit allen Mitteln umgeht Thomas das NS-Vokabular; er spricht schon fast krampfhaft von musikalischen Einzelheiten wie Hausmusik, Nachklopfen komplizierter Rhythmen, heiseren Stimmen usw., um seine Rede zu füllen. Einzig die Worte "im nationalsozialistischen Sinne" sind der Kotau, den er meinte, in dieser Situation machen zu müssen. Was hätte er auch sonst sagen sollen?