Am 29. Dezember 1955 trat die Kantorei der Dreikönigskirche unter Leitung von Prof. Thomas ihre dritte Konzertreise nach F r a n k r e i c h an, auch diesmal wieder zusammen mit dem Collegium musicum Wilhelm Isselmann. Als Gesangssolisten waren Agnes Giebel, Lore Fischer, Helmut Kretschmar und Horst Günther, die bereits in der Frankfurter Aufführung des Bach'schen Weihnachtsoratoriums (am 18. 12.1955) mitgewirkt hatten, sowie Bruno Müller verpflichtet. Insgesamt betrug die Zahl der Mitwirkenden etwa 120, davon ungefähr 80 Choristen. Mit drei Omnibussen fuhr die ganze Gruppe früh morgens in Frankfurt ab und erreichte abends spät Paris. Der Chor war zum größten Teil in Jugendheimen in Versailles bzw. in Billancourt untergebracht, das Orchester überwiegend in einem Hotel in Paris selbst
Das erste Konzert mit den Kantaten 1-3 des Weihnachtsoratoriums fand am 30. Dezember abends in der durch ihre Musikdarbietungen bekannten Pariser Kirche St. Eustache statt, einem großen gotischen Bauwerk mit hallender Akustik. Die Kantaten 4-6 wurden am Sylvesternachmittag im Theatre Champs-Elysés aufgeführt. Beide Konzerte waren ausgezeichnet besucht - in der Kirche waren weit über 2.000, im Theater annähernd 1.500 Zuhörer - und fanden starken Anklang.
Ein besonderer Höhepunkt der Reise war der Neujahrstag mit einer Aufführung des Weihnachtsoratoriums in C a e n (Normandie). Die Aufnahme in dieser während des Krieges fast völlig zerstörten aber heute in modernem Baustil großzügig wiederaufgebauten Stadt war überaus herzlich und gastfreundlich. Mittag- und Abendessen hatte die Stadtverwaltung in der ganz neuen, prächtigen Mensa der Cité universitaire vorbereitet. Nach dem festlichen 1. Konzert in der barocken Eglise Notre-Dame mit einer herrlichen Raumakustik gab der Bürgermeister von dem die Einladung ausgegangen war, einen Empfang für alle Mitwirkenden. Dabei sprach er in bewegten Worten seinen Dank und seine Anerkennung für die Aufführung aus. Er bezeichnete die Konzertreise der Kantorei als einen konkreten Beitrag zu besserem Verständnis zwischen Franzosen und Deutschen und zum Europagedanken überhaupt. Schon in der Kirche hatte ein höherer Geistlicher in ähnlichem Sinne - „... und Friede auf Erden..." seinen Dank ausgesprochen.
Am 2. Januar mittags begannen in Paris die Schallplattenaufnahmen der ungekürzten Matthäuspassion und einiger a-cappella-Werke von Schütz für „L'Oiseau Lyre“, die gleiche Firma, für die schon 1953 und 1954 die Johannespassion, die H-moll-Messe und sämtliche Motetten von Bach sowie Schütz' Weihnachtshistorie aufgenommen worden waren.
Diese Aufnahmen erstreckten sich über 3 1/2 Tage mit je 3 dreistündigen Aufnahmezeiten und bildeten den Abschluß der erfolgreichen Konzertreise. Für Chor, Solisten und Orchester blieb daneben noch genügend Zeit, sich in Paris umzusehen, da bei den Aufnahmen meistens nur ein Teil der Mitwirkenden benötigt wurde.
Am 5. Januar nachmittags fuhren Chor und Orchester in Paris ab und trafen am 6. Januar früh wieder in Frankfurt ein.
Ernst Cahn.