Ein Reisebericht von Hans Drehwanz im Dreikönigsboten Nr. 5, 1. Jahrgang - August 1952Jedes Jahr wird in Ansbach eine Bachwoche veranstaltet, zu der namhafte Solisten aus ganz Deutschland eingeladen werden. Die Kantorei, schon im Vorjahr mit der Johannespassion sehr erfolgreich, wurde diesmal mit der ungekürzten Aufführung der Matthäuspassion betraut.Leider sollte nur ein Teil von uns mitsingen dürfen, weil für die Fahrt nur zwei Autobusse zur Verfügung standen. Natürlich wollte auch keiner freiwillig zurückbleiben oder gar ausgeschlossen werden. Mancher und manche wird wohl in den letzten Nächten nicht allzu gut geschlafen haben, da eine Stimmprüfung für diejenigen drohte, die nicht alle Proben besucht hatten. Zum Schluß war aber doch eitel Sonnenschein, denn alle durften mitfahren. In den beiden Bussen war es für neunzig Personen natürlich etwas eng, doch das tat der guten Laune keinen Abbruch. Am 19. Juli ging es in aller Frühe durch den verregneten Spessart über Würzburg und Ansbach in etwa fünf Stunden nach Neuendettelsau, unserem Reiseziel. Dieses Städtchen oder besser: Dorf dient jedes Jahr als Quartier für alle Mitwirkenden der Bachwoche. Wir waren großenteils im Freizeitheim der Neuguineamission untergebracht und aßen dort auch gemeinsam. Gleich nach der Ankunft gab es ein fürstliches Mittagessen. Danach mußten wir uns ausruhen, denn schon am gleichen Abend war die Generalprobe für das Eröffnungskonzert in Ansbach, bei dem wir außer dem die Bachwoche einleitenden Choral den Anfangs- und Schlußchor der weltlichen Kantate "Phöbus und Pan" singen sollten.
Dieses Konzert, in dem auch die D-dur-Ouvertüre sowie das Doppelkonzert aufgeführt wurden, stand unter Leitung von Fritz Rieger, dem ständigen Dirigenten der Ansbacher Bachwoche. Dieses Jahr fand das Eröffnungskonzert in der Orangerie statt, da sich der schöne Prunksaal des Schlosses als zu klein für die vielen Mitwirkenden erwiesen hatte. Trotzdem war auf unserem Podium eine entsetzliche Enge und wir dachten wehmütig an unsere große Empore in der Dreikönigskirche.
Nach der Probe ging es zurück nach Neuendettelsau und dann bald ins Bett. Der Sonntagmorgen gehörte uns. Mancher nutzte die Gelegenheit, den Festgottesdienst in Ansbach mir der Predigt von Landesbischof D. Lilje D.D. zu hören; die anderen lockte das schöne Wetter zu Spaziergängen in die Wälder rings um Neuendettelsau oder zum Baden. Zum Essen waren wir alle wieder beisammen und kamen uns vor wie in den Ferien. Das "dolce far niente" bekam uns großartig. Doch bald begann die Pflicht wieder zu rufen; wir mußten nach Ansbach zum Konzert. Der Gang vom Bus zum Konzertsaal glich einem Spießrutenlaufen. Die ganze Bevölkerung Ansbachs stand Spalier und bestaunte jeden, der ankam. Das war für sie das große Ereignis.
Der Montag brachte uns viel Arbeit. Die Matthäuspassion dauert ohne Unterbrechungen, wie sie bei Proben nun einmal nicht zu umgehen sind, vier Stunden. Professor Thomas stand aber zur Arbeit mit Orchester, Solisten und Chor nur dieser eine Tag zur Verfügung. Es war nur durchzukommen, wenn jeder einzelne bis zum Schluß konzentriert mitarbeitete. Wir haben es geschafft, waren aber alle froh, als wir ins Bett krabbeln konnten. Der Dienstagmorgen war für die Generalprobe bestimmt. Diese fand, wie auch die Aufführung, im historischen Heilsbronner Münster statt.
Zum Anfang der Probe, bei der natürlich nicht die ganze Passion gemacht werden konnte, weil das die Stimmen zu sehr strapaziert hätte, mußten erst alle möglichen Aufstellungsschwierigkeiten beseitigt werden. Das Orchester hatte zu wenig Platz, dann war der Chor zu sehr eingeengt, dann knarrten die Bänke beim Aufstehen und Hinsetzen, kurz: an allen Ecken und Enden war Hilfe nötig. Die Probe litt natürlich auch unter diesen zeitraubenden Zwischenfällen, so daß wir ziemlich unzufrieden wieder in Neuendettelsau ankamen. Nach dem Essen war für zwei Stunden strengste Mittagsruhe. Dann noch einmal kurz Besprechung einiger wichtiger Stellen, und nach dem Kaffeetrinken fuhren wir zum Konzert nach Heilsbronn.
Als der Eingangschor aufklang, war alles vergessen, was uns am Vormittag belastet hatte, und die unvergängliche Schönheit der Bach'schen Musik nahm uns alle gefangen. Für uns war das die Erfüllung der ganzen Bachwoche. Glücklich saßen wir nachher noch kurze Zeit beisammen und ließen alles Schöne dieser Tage in uns nachwirken. War doch die Passionsaufführung für uns gleichzeitig Abschied von Neuendettelsau. Am Mittwoch ging es in aller Frühe wieder heimwärts, allerdings auf Umwegen über Dinkelsbühl und Rothenburg o.T. Danach konnten wir noch in Creglingen den schönen Marienaltar Tilmann Riemenschneiders bewundern und fuhren dann über Tauberbischofsheim und Miltenberg nach Frankfurt, wo wir erst am Abend ankamen. Die schönen Tage hatten uns allen viel Freude gemacht und wir denken schon an das nächste Jahr, die nächste Bachwoche in Ansbach. Ob wir wohl wieder dabei sein werden?