Der Protestantismus hat diesen zentralen Gedanken im Anschluss an Martin Luther in der Lehre von der Rechtfertigung des Sünders zum Ausdruck gebracht. Diese Lehre lässt sich in aller Knappheit so zusammenfassen. Was immer wir sind, sind wir nicht aus uns selbst. Schon die bloße Tatsache unseres Lebens verdanken wir nicht uns selbst, ebenso wenig die Umstände unseres Lebens. Wir wissen uns ohne unser eigenes Zutun aufgehoben in einer uns wohlwollend umfangenden höheren Ordnung. Unser Leben ist immer mehr, als wir ihm selbst mit all unseren Anstrengungen und Mühen geben können. Es ist dieses göttliche Wohlwollen, das den Kern und die Würde unserer Person ausmacht – nicht die Leistungen und Errungenschaften oder aber auch die Vergehen und Fehler unserer Lebensführung.
Für unseren Zusammenhang liegt die besondere Pointe der Rechtfertigungslehre darin, dass die Reformatoren, allen voran Luther eine Bedeutung menschlicher Handlungen und Taten, kurzum menschlicher Werke, für das Rechtfertigungsgeschehen unbedingt ausgeschlossen wissen wollten. Mit Blick auf die Rechtfertigung konnte Luther dezidiert formulieren: „Das Werk, das ich tue, macht die Person nicht zu der Person, die ich bin:opus non facit personam“1 . Natürlich wollte Luther damit keinem ethischen Indifferentismus das Wort reden, so als ob es ganz gleichgültig wäre für die Rechtfertigung, was immer wir tun. Aber ganz offensichtlich war ihm daran gelegen, Person und Werk zu trennen. Jedem Personsein kommt Geschenkcharakter zu, d.h. dann auch dass die Würde und der Wert einer Person immer mehr ist, als diese Person in ihren Handlungen und Taten überhaupt realisieren kann. So kann Eberhard Jüngel in seiner Verteidigung der reformatorischen Rechtfertigungslehre feststellen: „Die Rechtfertigung des Sünders verbietet es, die beste Tat, aber auch die schlimmste Untat, mit dem Ich zu identifizieren, das sie tat“. Hinter jeder Lebensgeschichte gilt es „die menschliche Person [zu] entdecken, deren sich Gott selber erbarmt“2. Die Versöhnung zwischen Gott und Mensch wirkt sich nach reformatorischem Verständnis als Rechtfertigung aus. Diese rechtfertigende Annahme der Person bedeutet immer auch Vergebung. Vergebung ist eine Konkretion des Versöhnungs- und Rechtfertigungsgeschehens. Diesen Gedanken möchte ich in fünf Punkten präzisieren: