Unsere Kantorei in Frankreich und Spanien

Ein Reisebericht von Marianne Born im Gemeindeblatt der ev. luth. Dreikönigsgemeinde - Frankfurt am Main
Nr. 12 / 2. Jahrgang Dezember 1953:

Vom 9. bis 25. Oktober 1953 unternahm die Kantorei der Dreikönigskirche unter Leitung von Herrn Prof. Kurt Thomas eine Konzertreise nach Frankreich und Spanien. Als Orchester wirkte das Collegium musicum Wilhelm Isselmann mit, und die Solisten waren: Gunhild Weber (Sopran), Sybilla Plate (Alt), Herbert Heß (Tenor), Hans Olaf Hudemann (Bariton), Paul Gümmer und Martin Gründler (Baß). Wir gaben Konzerte in Saarbrücken, Paris, Barcelona, Zaragoza und Marseille.

S a a r b r ü c k e n : Nach aufregenden Stimmprüfungen und vielen Proben verließen wir endlich Frankfurt und fuhren in drei schönen, großen Omnibussen mit Cembalo und anderen Musikinstrumenten in den herrlichen Herbstmorgen. Durch bunte Wälder und Stoppelfelder ging es in großer Erwartung dem Süden entgegen. Saarbrücken war bald erreicht. Auf dem Schloßplatz wurden wir den freundlichen Gastgebern zugeteilt. Wir wurden sehr verwöhnt; der Anfang hätte nicht besser sein können. Die evangelische Gemeinde hatte das Konzert vorbereitet und die Quartiere besorgt. - In der „Wartburg“, dem größten Konzertsaal Saarbrückens, führten wir abends die Johannes-Passion auf. Der Saal war beinahe voll besetzt.

P a r i s : Eine längere Fahrt war es am nächsten Tag nach Paris. In Metz konnten wir die Kathedrale besichtigen und zum ersten Male einen französischen Markt erleben. Auf der Hauptstraße, bis weit über das schmale Trottoir hinaus, steht Tisch an Tisch mit Kleidern, Schuhen, Töpfen, Bonbons und Lebensmitteln; alles durcheinander. Dazwischen wusseln die Hausfrauen, sausen Radfahrer und schieben sich Autos mit viel Lärm. Weiter geht es über Verdun mit seinem Gefallenendenkmal nach Paris. La ville lumière! Schon vierzig Kilometer vorher glauben wir da zu sein. Endlich stehen wir an der Place de la Concorde, umstrahlt von tausend Lichtern. Wir fahren die Champs Elysées hinauf, dem riesenhaften beleuchteten Arc de Triomphe zu. Wir „schwimmen“ nur so zwischen den Autos. Wie Ameisen krabbeln sie rechts und links an uns vorüber, halten, schießen weiter - ohne Lärm! Ein Meer von roten und weißen Lichtern! Herrliche, beleuchtete Springbrunnen, vornehme Kinos und Geschäfte, Menschen und Autos auf Straße und Trottoir, alte und neue, große und kleine. In Versailles sind wir, andere in der cité universitaire untergebracht. - Bald ist man gewohnt, daß es zu jeder Mahlzeit Wasser und Weißbrot gibt, und satt werden wir immer. Am nächsten Abend singen wir in der großen düsteren Salle de Pleyel, nachdem schon zwei andere Konzerte dort stattgefunden haben, die Matthäus-Passion. (Die Herren des Orchesters sehen übrigens im Frack sehr würdig aus, und wir, in hochgeschlossenen, langärmeligen, schwarzen Kleidern, wie junge Witwen.) Der Beifall ist erstaunlich: Die Zuhörer springen auf, rufen, winken, klatschen, sind begeistert. Für uns ist das ungewohnt, aber wir freuen uns doch ein bißchen. Die nächsten beiden Tage erfordern ernste Arbeit. Wir singen für eine Schallplattenfirma Bachs Johannes-Passion und die Motetten, sowie das Weihnachtsoratorium von Schütz. Da muß jeder Ton "sitzen" und kein Nebengeräusch darf zu hören sein. – Der nächste Tag gehört uns. Ich schreite durch den Spiegelsaal von Versailles, durchstreife die riesigen, großartigen Parkanlagen des Schlosses, versuche mir möglichst viele Bilder des Louvre einzuprägen, pilgere zur Grabstätte Napoleons und bewundere besonders die Glasfenster von Notre Dame. - Auf kleinen Rohrsesseln genießen die Pariser die Herbstsonne. In für uns unmodernen Kinderwagen spielen die Kleinen mit Luftballons, größere Kinder dürfen Ball spielen, springen, laufen - man schimpft nicht, jeder läßt die andern gewähren. In der Uni, zwischen Studenten aller Nationalitäten, essen wir und dann heißt es Abschied nehmen.

B a r c e l o n a : Durch fruchtbares, ebenes Land geht es am nächsten Tag bis, Toulouse. Dann wird es hügelig und unfruchtbar. Nur die niedrigen Weinstöcke, herrlich rot gefärbt, begleiten uns bis dicht ans Mittelmeer. Im Dämmerlicht breitet es sich vor uns aus, dunkel, gewaltig und ruhig. Jetzt sind wir in Spanien! In Barcelona wohnen wir meist bei deutschen Familien, die uns sehr gastfreundlich aufnehmen und uns mit Rat und Tat helfen, damit wir uns in dem fremden Land zurechtfinden. In einem mit Malerei und Stuck reichverzierten Saal singen wir am nächsten Abend um 10 Uhr die Matthäus-Passion. Zum Teil stehen die Zuhörer, und kaum ist der Schlußton verklungen, als der Beifall nur so rauscht. Selbst die Einheimischen versichern, es sei ein großer Erfolg gewesen. Das Konzert am Sonntagmorgen findet, wenn auch geringer besucht, einen ebenso großen Beifall. Wir haben noch Zeit, uns in Barcelona umzuschauen: Innenhöfe mit Säulen, Palmen und einem Brunnen, ein tausendjähriger Weinstock, eine Säule aus römischer Zeit, die Treppe, auf der Columbus von dem spanischen König empfangen wurde, die Kathedrale, viele Tauben, winzige Gassen und Sträßchen, viele Schuhputzer, temperamentvolle, disziplinierte Menschen, die sich zum Trambahnfahren anstellen, der Hafen, das Meer, der Berg, an dem Barcelona liegt, bewachsen mit Palmen, Feigenbäumen, Kakteen, Agaven, Olivenbäumen - und zu all dem herrlicher Sonnenschein!

Z a r a g o z a : Dreihundert Kilometer fahren wir landeinwärts. Die Landschaft Ist öde, sogar wüst, stundenlang kein Dorf - nur Kalkhügel, an denen die verwitterten Schichten zu erkennen sind, mit einzelnen Grasbüschen bewachsen Die Dörfer, aus dem gleichen hellen Stein erbaut, heben sich kaum von der Landschaft ab. Die Häuser mit flachen Dächern sind vielfach dem Zerfallen nahe. Über den Ebro fahren wir nach Zaragoza. Dort singen wir in dem Theater. Es ist primitiv, aber eben spanisch. Nach der zweiten Pause, die dort üblich ist, geht ein Teil der Zuhörer nach Hause; aber geklatscht wurde trotzdem. Wieder essen wir nach spanischer Art vier bis fünf Gänge, die mit entsetzlich viel Olivenöl bereitet sind. Am nächsten Tag geht es nach Barcelona zurück und dann nach
M a r s e i l l e.
Noch einmal haben wir die Grenze überschritten und sind wieder in Frankreich. Nun kann man sich wenigstens wieder verständigen. Auf der Fahrt sind außer Weinfeldern und Olivenbäumen sogar auch Baumwollfelder zu sehen. Alte Brunnen, die mit Mulis betrieben werden, liefern das Wasser für das dürre Land. Ein Triumphbogen erinnert noch an die Römerzeit. Über Sète, den Kriegshafen, und Montpellier gelangen wir nach Marseille. Wieder wohnen wir privat und werden von der evangelischen Gemeinde freundlich aufgenommen. Wir fahren sogar auf dem Mittelmeer, das Boot schaukelt, und das Wasser schmeckt salzig. Ozeanriesen liegen im Hafen. Sie sind so groß, daß das Auto, das eingeladen wird, wie ein Spielzeug aussieht. Zum Abschluß singen wir dann in der evangelischen Kirche - natürlich ohne Beifall! - mit dem Vaterunser am Ende. - So war unsere Reise von zwei Konzerten in evangelischen Gemeinden eingerahmt.

In einer Fahrt geht es dann heim. An Avignon vorbei, der alten Stadt, in der die Päpste eine Zeitlang regiert haben, geht es das Rhonetal hinauf. Hier weiden nun Kühe, die Berge sind bewaldet, die Landschaft nimmt heimatlichen Charakter an. Um drei Uhr nachts fahren wir durch Straßburg und kurz danach über die deutsche Grenze. Um 10 Minuten vor 8 Uhr kommen wir wieder am Opernplatz an. Es ist kalt, menschenleer und düster. Es ist, als erwache man aus einem herrlichen Traum. Und nun beginnt der Alltag wieder.